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009 – Die Fährnis erkennen

009
Das Betörende des Gegenübers stellt die Gefahr da, welche ich als Fährnis des Daseins mit unlauterer Stimme deklarieren würde. Sie erhebt Ansprüche sich im Kleid der unheilvollsten aller Bedrohungen zu schmücken. Ihre unangemessen unbedeckten und doch malerischen Körperregionen schreien förmlich nach unerzwungener Nähe. Mit besonderer Neugierde bestaunt man die fauenhafte Erscheinung jenes exotischen Grenzwesens. Spätestens wenn ihre weiche Stimme das Eis des Schweigens bricht, werden legitimistische Motive geweckt, die ein engeres Verhältnis zur charismatischen Fremden befördern. Tiefe Resonanzen bauen sich ad hoc auf. Die neu gefundene Bekanntschaft, die alleinig durch ihre Erscheinung die wärmste aller menschlich denkbaren Leidenschaften versprüht, biedert sich an. Ohne Erwartungshaltung denkt man sich, hofft innerlich, dass ein aufkommendes Verhältnis schon nicht schiefgehen, nicht misslingen wird. Ein bisschen Risiko für ein wenig Zärtlichkeit wird einem nicht in Ungnade fallen lassen. Doch wer den Geschmack der unverlässlichen und intensiven Liebe einmal gekostet hat, wird davon nicht mehr so schnell wegkommen.

Die Ursünde ist nicht die Frucht per se, die genüsslich verkostet wird, es ist die Befruchtung, die daraus zwangsweise resultiert und Konsequenzen nach sich zieht. Der Brei eingemachter Zerealien, garniert mit Beeren aller Art, steigert das Lustempfinden ins Unermessliche. Bereits der ordinär süßliche Duft der Pampe ist wie ein gedeckter Tisch, an dem es gilt Platz zu nehmen. Die Fährnis hat zum ausgiebigen Mahl mit zahlreichen Gängen eingeladen. Spätestens bei der Nachspeise hat sie einen in den Bann gezogen. Wer sich ihrer Hingabe widersetzt, der Versuchung widersteht, ist wie der Tor ein Narr. Es muss nicht alles perfekt sein, es muss nur nahe genug daran sein, um ein frisches, unvergleichbares Paar für einige Stunden in den Rausch des Tanzes in einer nicht endend wollenden Nacht einzuführen, der infolgedessen zwei Körper zu innigen Berührungen und letztendlich zur Verschmelzung führt. Es bedarf nicht viel, um mehr zu sein als "fremde Freunde" für einen schlüpfrigen Moment, einen Augenblick unvergesslichen Seins.

Die Fährnis ist wie ein Fadista, der vom Schicksal unverträglicher Liebe poetisiert und glücklicheren Zeiten entgegensehnt. Die Untertöne des Weltschmerzes sind nicht zu überhören. Der Fado-Sänger hält seine Stellung beharrlich und wartet auf etwas Bedeutsameres als die neblige Vergänglichkeit. Bizarre Melodien, die Emotionen beschwören, sind wie das Fischen in trüben Gewässern mit dunklem und tiefem Grund. Fährnisse sind Wagnisse, die es zu erkennen gilt.

Hochempathievoll, ℐţ.


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