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012 – Den Geruch des Fremden erkennen

012
Eine Abweichung der geraden Linie des Dar-/Vorgebrachten ist von Nöten. Jenseits des Vertrauten steht die Abwechslung. Der alte Plagegeist im Haus kann der jungen Muse vor der Türe nicht das Wasser reichen. Um den Geruch des Fremden zu erkennen, bediene ich mich der Kunst einer fadenscheinigen Erzählung, rein fiktiver Natur, könnte man meinen. Es wird heftig. Wer zart besaitet ist, sollte an dieser Stelle das Weite suchen; ich dagegen begebe mich ins Freie, wo der Duft der Jugend mich erwartet.
Vorweg: Das Szenario muss indes auf die Kernbotschaft, die Grundidee reduziert werden, denn lange Texte aus der Feder zu reißen ist ein für mich derzeit störendes Element, und darüber hinaus unpassend; Kurzes füllt den Raum jener Sphäre aus und erleuchtet sie.

BEGINN. Er heißt Bob, ihr Namen ist Sally. Sie liegen rücklings und eng nebeneinander auf einem Hotelbett; vom Ende dessen betrachtet ist er, Bob, zur Rechten, und sie, Sally, hat die linke Hälfte eingenommen. Beide sind angezogen und starren an die Decke, lediglich die Schuhe wurden abgestreift. Sie will mit ihrer linken Hand Bobs Rechte greifen und umschließen; er verweigert es ihr. Sie ist empört und erhebt sich. Er bringt sie zur Ruhe, sagt ihr, sie solle sich wieder hinlegen, den Moment genießen, die Gerüche aufsaugen. Sie versteht nicht, was er meint, und er erklärt es ihr wie folgt: "Du sollst mich riechen, Sally, und ich werde dich beschnüffeln." Auch das will ihr nicht in den Kopf. Ihm scheint ihre Verwirrtheit egal zu sein, als er fortsetzt: "Wir sollten vorher duschen, erst du, dann ich." Doch sie will das nicht und entgegnet: "Ich liebe deinen Geruch", worauf er erwidert, dass er ihren ebenso gerne mag, mit einem Einwurf jedoch: "Du musst unter die Dusche, du bist eingecremt mit irgendwas, und ich rieche das durch deine Klamotten." Als sie schon zu einer Antwort ansetzen will, setzt er fort: "Und für mich gilt es, schleunigst den Gestank des kalten Rauches mir zu entledigen." Um es gerafft zu halten, stimmte sie zu, stand auf und wollte Richtung Badezimmer gehen, als er Sally noch um einen Gefallen bat: "Nur Wasser, kein Duschgel, keine Seife, kein Shampoo – nichts mit einer Duftnote versehen." Sie dreht sich zu ihm um, schaut ihn an und fragt: "Warum duschen wir eigentlich nicht gemeinsam, Bob?"

Kleiner Sprung, denn das haben Kurzfassungen gemein. Der Leser darf sich den ausgelassenen Teil selbst vorstellig machen. Am Ende liegen Bob und Sally abermals in der gleichen Stellung auf dem Bett. Nackt natürlich, denn Kleidung riecht eben auch. Ihre linke Hand umschließt nun seine rechte. Er hat sich ihres Wunsches ergeben. Wange an Wange schmiegen ihre beiden Kopfhälften aneinander, die Augen sind geschlossen, ihr Dienst hat zu pausieren. Die Nasenflügel arbeiten unter Hochdruck. Sie erkennen die Gerüche des Fremden. ENDE.

Wie bei jeder Geschichte, gäbe es da etwas von der Moral zu erzählen. Zwar weigere ich mich, eine zu verlauten, doch für einen schlotterigen Merksatz, der vielleicht nicht schmecken wird, bin ich mir nicht zu schade; er könnte möglicherweise so gehen: Es gibt eine Vielzahl von Intimitäten, die es zu erkunden gilt, ehe man körperlich intim miteinander wird.

Hochempathievoll, ℐţ.


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